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    09.08.2023

    Wie lässt sich KI im Werkzeugbau nutzen?

    Autor: Julian Odeh, Tebis Consulting
    Tebis-Consulting-Teammanager Julian Odeh erklärt, welche Ansätze und Fördermöglichkeiten es bereits für KI gibt – und welche Ergebnisse sich erzielen lassen.

    Mittlerweile fällt das Schlagwort Künstliche Intelligenz (KI) in fast jeder Diskussion über Effizienzsteigerung – und dies ausnahmslos in jeder Industrie. Die Aussage ‚Wir müssen dringend schauen, wie wir das für uns nutzen können, um weiter bestehen zu können‘, hört man im Zuge dieser Diskussionen ebenfalls vermehrt. Vor dem Hintergrund meiner fünfzehnjährigen Erfahrung in unserer Branche kann ich bestätigen, dass dies auch für den Werkzeug- und Formenbau zutrifft: Selbst in diesen doch sehr handwerklich geprägten Branchen hält das Thema Einzug.
     
    Wo liegen die Ansätze für KI? Im Werkzeugbau ist ein hohes Maß an Erfahrung und Zeit notwendig, um das Werkzeug auf einen Stand zu bringen, bei dem ein I.O.-Teil (I.O. = „Teil in Ordnung“) hergestellt wird. Ferner wird von den Konstrukteuren und Werkzeugmachern bei weitem nicht alles digital kommuniziert oder in die 3D-Daten eingebracht. Damit liegen die Informationen und Daten nur bei einigen wenigen Wissensträgern. Entsprechend können auch alle damit verbundenen Entscheidungen nur von einem sehr kleinen Kreis an Mitarbeitern getroffen werden. Eine Problematik, die sich durch den Fachkräftemangel und den stetig wachsenden Preisdruck noch intensivieren wird.
    Die Einarbeitung eines Werkzeugs erfordert viel Erfahrung und einige Korrekturschleifen. Teilweise sogar noch mit manueller Nacharbeit. Unterstützung durch KI verkürzt diesen Prozess in Zukunft deutlich.
    KI-Ansatz 1: Unterstützung Genau hier kann die KI ansetzen, indem sie basierend auf historischen Werkzeugdaten trainiert wird, um z.B. Vorschläge zur Anpassung der Wirkflächen zu geben. Die Vorschläge könnten über Druckbereiche und Freimachung bis hin zu Beschnittkurven und Designradien gehen, um so den Wirkflächenkonstrukteur bei der Erstellung, respektive Anpassung, aktiv zu unterstützen. Auch denkbar wäre ein Gesamtvorschlag, welchen der Konstrukteur nach einer Bewertung annimmt oder bereichsweise anpasst.
     
    Historische Daten für ein KI-Training können aus dem CAD/CAM-System kommen. Tebis kompensiert das komplette Blechteil vollautomatisch. Dazu übernimmt die Software die durch Rückfederung am Versuchsbauteil ermittelten Messpunkte und berechnet die Abstände zum gewünschten Soll-Bauteil. 
    Teilautomatisierte Anpassungen Im Detail könnten solche Vorschläge Bereiche angeben, in welchen zu einem gewissen Prozentsatz der Datenbasis Anpassungen bei diesem Bauteiltyp vorgenommen worden sind. Wenn die Datenbasis eine hohe Eindeutigkeit aufweist, sind auch teilautomatische Anpassungen denkbar. Dies könnte den Weg des Wirkflächenkonstrukteurs hin zum I.O.-Teil stark verkürzen. 

    Kombination und zweiter Weg: KI schaut live zu Ein zweiter Weg könnte sein, die KI beim Erstellungsprozess live zuschauen zu lassen und so den Lernprozess der KI auf Datenbasis zu unterstützen. Ein Weg, der sich immer dann anbietet, wenn historische Daten nicht oder nur in geringer Anzahl verfügbar sind.
    Eine Kombination ist ebenfalls denkbar und bietet – auch im Hinblick auf den Schärfungsprozess – zusätzliche Vorteile. Dieser würde mittels einer Beobachtung des Live-Prozesses eine schnellere Lernkurve aufweisen und zudem – auf Basis des initialen Lernens durch die historischen Daten – zu einem verbesserten Ergebnisvorschlag führen.
    KI-Ansatz 2: Experten-Input digitalisieren Einen weiteren Ansatz um die KI mit Wissen zu füttern, stellt die Digitalisierung des oftmals papierbasierten Experten-Inputs dar. Ein idealtypisches Szenario dafür sind z.B. die gängigen Meisterrunden. Werkzeugmacher sprechen über die verschiedenen Werkzeugoperationen und nutzen dazu ausgedruckte 2D-Bilder, welche aus den CAD-Daten extrahiert wurden. Ihre Entscheidungen über Druckbereiche, Freimachung und Übergangsbereiche halten sie dort fest und geben sie an den Wirkflächenkonstrukteur weiter.

    Im Detail könnten solche Vorschläge digitalisiert abermals Bereiche angeben, in welchen laut den Experten, zu einem gewissen Prozentsatz der Datenbasis Anpassungen bei diesem Bauteiltyp vorgenommen worden sind. Wenn die Datenbasis eine hohe Eindeutigkeit vorweist, sind auch hier wieder teilautomatische Anpassungen vorstellbar. Dies könnte den Weg des Wirkflächenkonstrukteurs hin zum I.O. Teil abermals stark verkürzen.
    Meisterrunde: In einem durchgängigen CAD/CAM-System fließen Fertigungswissen und Erfahrung heute schon digital zusammen. Eine entsprechend trainierte KI könnte künftig Vorschläge für teilautomatisierte Anpassungen liefern.
    Softwaregestützt vereinfachen und beschleunigen Geht man jetzt noch einen Schritt weiter und schafft eine softwaregestützte Möglichkeit, die es dem Experten einerseits gestattet, seine Bereichsvorschläge digital festzuhalten und andererseits Vorschläge von der KI zu erhalten, so würde seine Aufgabe gleichzeitig stark vereinfacht und beschleunigt werden. Sofern diese Software nicht das eingesetzte CAD/CAM-System darstellt, wäre das i-Tüpfelchen eine Direktschnittstelle zum jeweils eingesetzten CAD/CAM-System, welche die definierten Druck- und Übergangsbereiche sowie die Freimachungen 1:1 übernimmt.

    Dementsprechend hätte man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, da der Wirkflächenkonstrukteur nun nicht mehr die Bereiche aus einer PDF oder Powerpoint überträgt, sondern diese direkt im System kontrolliert und ggf. anpasst.
    KI-Ansatz 3: mögliches Maschinenergebnis berechnen Ein weiterer Ansatz, die KI zu trainieren, könnte auf die spezifischen Charakteristika der jeweiligen eingesetzten Hardware abzielen. Aufgrund der Komplexität der CNC-Fräsmaschinen und Pressen, welche ihren Einsatz im Werkzeugbau finden, besitzt jede ihr ganz eigenes Profil, auch Fingerabdruck genannt, und ebenso individuell wie beim Menschen. Im Fall einer CNC-Fräsmaschine setzt sich dieser Fingerabdruck aus den verschiedensten Sensordaten zusammen, darunter Temperaturentwicklung, Tisch-Durchbiegung, Kopfauslenkung, Werkzeugverschleiß u.v.m. Die Idee ist, all diese Umgebungsparameter, die während der Bearbeitung herrschen, der KI live zur Verfügung zu stellen, um so Vorschläge für ein mögliches Maschinenergebnis berechnen zu lassen. Dieses Ergebnis kann dann herangezogen werden, um im Nachgang die Bereiche zu definieren, in denen Nacharbeiten notwendig sind. Je nach Größe der Abweichung entweder händisch im Tryout oder auf der CNC-Fräsmaschine selbst.
    KI-Analyse auf Basis des Fingerabdrucks Betrachtet man die Werkzeugpressen in diesem Kontext, so ist eine KI-Analyse auf Basis des Fingerabdrucks der jeweiligen Presse und Sensorendaten ebenfalls denkbar. Auch hier geht es letztlich darum, der KI Input für ihren Lernprozess zu liefern und so wiederum Vorschläge für ein mögliches Tryout-Ergebnis zu erhalten.
    Ziel ist, den sehr komplexen und stark von den jeweiligen Experten geprägten Tryout-Prozess zu vereinfachen und zu beschleunigen, um so die Durchlaufzeiten zu reduzieren und letztlich die Kosten in diesem Bereich zu senken.
    Königsklasse: Vorhersagen Die Königsklasse hierbei wäre selbstverständlich, sich bereits im Vorfeld der Bearbeitung und/oder des Tryouts von der KI die Abweichungen zum Soll-Zustand vorhersagen zu lassen. Die Berücksichtigung bzw. Bewertung dieser Fingerabdrücke durch die KI im Vorfeld hat somit das Potenzial, den Korrekturprozess signifikant zu verkürzen oder ggf. in einem zweiten Schritt sogar ganz zu vermeiden.
    Mit Hilfe von KI könnten solche Fehler künftig im Voraus vermieden werden. Der Korrekturprozess und die Einarbeitung verkürzen sich.
    Vermutlich wird die Zusammenführung aller genannten Ansätze zu einer noch besseren Ergebnisfindung für den KI-basierten Wirkflächen- sowie Tryout-Vorschlag führen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Ansätze, eine KI im Werkzeugbau einzusetzen. So etwa im Bereich der Konstruktion, der Simulation, der NC-Programmierung oder in Bezug auf den Einsatz der Fräswerkzeuge und Spannmittel.
    KI vs. Mensch Jetzt fragt man sich als Mensch und aus der Perspektive als Mitarbeiter:in natürlich: Werden wir zeitnah aus dem Werkzeugentstehungsprozess verschwinden und ersetzt uns die KI womöglich bald vollständig? Wohl eher Nein, aber wir könnten stark entlastet werden – so etwa bei der Ergebnisfindung unserer jeweiligen Aufgabe, bei der Wirkflächenkonstruktion, der CNC-Programmierung, der CNC-Maschinenbedienung oder dem Tryout. Rund um diese Tätigkeiten würden alle Mitwirkenden stark vom Einsatz einer KI profitieren, denn sie erhielten quasi einen neuen Team-Kollegen, der sie tatkräftig mit relevanten Informationen versorgt und dabei hilft, das I.O.-Teil wesentlich schneller, fehlerfreier und vor allem kostengünstiger zu erreichen. Im Umkehrschluss trägt die KI also auch zur Sicherung der Arbeitsplätze im jeweiligen Werkzeugbaubetrieb sowie zur Sicherung der Jobs in unserem vom Fachkräftemangel geprägten Hochlohnland bei.
     
    Bundesregierung will bis 2025 mit 5 Mrd. Euro fördern 
    Auch die Europäische Union betont eher die Chancen, welche die KI mit sich bringt, und sieht hier im Besonderen: „Eine bessere Gesundheitsversorgung, sicherere und umweltfreundlichere Verkehrsmittel, eine effizientere Fertigung sowie kostengünstigere und nachhaltigere Energie“ (Künstliche Intelligenz – Exzellenz und Vertrauen). Die EU verfolgt die Strategie aufzuklären, Regeln bzw. einen Rechtsrahmen zu schaffen und EU-Wertebasierte KI-Lösungen zu fördern, um so Vertrauen in die neue Technologie zu schaffen. Die Bundesregierung teilt diese Haltung und hat sich zum Ziel gesetzt, den Standort Deutschland führend in der KI-Technologie zu machen, wofür sie bis 2025  (Künstliche Intelligenz) insgesamt 5 Mrd. Euro zur Verfügung stellt. Der Deutsche Ethikrat hat sich erst vor kurzem zum Thema geäußert und unterstrichen, dass sich neue Chancen bieten, wobei die KI lediglich assistieren solle und nicht den Menschen ersetzen darf.  (Ethikrat: Künstliche Intelligenz darf menschliche Entfaltung nicht vermindern)

    Meine Empfehlung lautet daher: Machen Sie sich bald näher mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“ vertraut. Verfolgen Sie beispielsweise das staatlich initiierte Förderprogramm KoPa 35c Modul a2 mit dem Titel „Digitalisierung der Fahrzeughersteller und Zulieferindustrie“ und im Speziellen das Projekt „Tooling“  (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie). Ferner lohnt es sich natürlich, die einschlägige Fachpresse zu monitoren, um weitere Ideen und Ansätze abzuleiten. Finden Sie in diesem Zuge den für Ihr Unternehmen sinnvollen Einsatz und nutzen diesen Wettbewerbsvorteil für sich.